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Der Klassentrakt des Schulhauses Wallrüti in Oberwinterthur verkörpert ein neues Kapitel Schulbaugeschichte. Mit seiner aussen liegenden, offenen Erschliessung stellt er das klassische Grundkonzept von Schulbauten auf den Kopf. Dieser radikale Ansatz ermöglicht ein kompaktes Gebäudevolumen mit einem Minimum an beheizter Fläche und haustechnischen Installationen.
Als Sieger ging das Zürcher Architekturbüro Schneider Studer Primas hervor. Die Umgebungsgestaltung stammte von der Kolb Landschaftsarchitektur GmbH aus Zürich. Der Vorschlag des Teams überzeugte die Jury, weil die Architekten die klassische Grundrissstruktur von Schulhäusern auf den Kopf stellen. Entstanden ist ein Gebäude, das sich durch radikale Einfachheit auszeichnet – nicht nur bei den Grundrissen, sondern auch bei der Konstruktion, der Materialisierung und den haustechnischen Anlagen. Dafür haben die Planer das übliche Grundprinzip von Schulhäusern umgedreht: In der Regel befindet sich die Erschliessung im Gebäudeinnern, die Schulzimmer sind entlang der Korridore aufgereiht. Das Schulhaus Wallrüti dagegen wird aussen über Laubengänge erschlossen. Alle Räume für den Schulbetrieb bilden zusammen einen kompakten Gebäudekörper ohne innere Korridore. «Dadurch wird das Gebäudevolumen auf ein Minimum reduziert, es braucht weniger beheizte Fläche und kaum Haustechnik, da alle Räume für den Unterricht natürlich belüftet werden können», sagt Architekt Jens Studer. Die Idee geht zurück auf die sogenannten Freiluftschulen, wie sie zu Beginn des 20. Jahrhunderts beispielsweise in Frankreich realisiert wurden.
Optisch sind die beiden Teile des Gebäudes – die Erschliessung und der Schulbereich – klar getrennt: Alle Räume für den Schulbetrieb bilden zusammen einen rechteckigen, dreigeschossigen Baukörper mit 69 Metern Länge und 23 Metern Breite. Um diesen herum ist die offene Erschliessungszone aus Beton mit verzinkten Stahlstützen und Geländern angeordnet. Die geschwungenen Laubengänge und die spiralförmig angelegten Treppenzugänge erinnern an eine Wolke, die sich sanft um das kubische Gebäude schmiegt. Die dreigeschossige Erschliessungszone ist eng mit dem baumbestandenen Grünraum verwoben. Dazu tragen einerseits die in den Öffnungen der Erschliessungsplattformen gepflanzten Bäume bei, andererseits Rankhilfen an den Aussenseiten der Laubengänge, die mit der Zeit überwachsen werden. Der Grünraum der Schulanlage wurde im Rahmen des Neubaus mit zahlreichen Bäumen und Flächen mit Blumenwiesen umgestaltet. Genutzt wird er als Pausenbereich für die Schülerinnen und Schüler sowie für den Schulsport. Zum Angebot gehören unter anderem ein Hartplatz für Ballspiele und eine Weitsprunganlage. Aufgelockert wird der Grünraum durch Werke der Zürcher Künstlerin Zilla Leutenegger. Sie bestehen aus unterschiedlich geformten Betonelementen, die stehend oder liegend platziert sind und auch als Sitzgelegenheiten genutzt werden können.
Die drei Geschosse des Schulgebäudes werden unterschiedlich genutzt: Im Erdgeschoss sind alle Räume für Unterrichtsfächer wie Naturkunde, Handarbeit und Kochen untergebracht. Dazu gehören unter anderem drei Schulküchen. Das erste Obergeschoss umfasst neben zwölf Klassenzimmern und vier Gruppenräumen Sitzungs- und Arbeitsräume für die Lehrerschaft, das Schulsekretariat, die Bibliothek sowie ein multifunktional nutzbares Foyer in der Zugangsachse. Dieses verbindet die Ost- und die Westseite durch das Gebäude hindurch und bildet das einzige innen liegende Erschliessungselement. Das Obergeschoss gehört ganz den Klassen und bietet Raum für 16 Schulzimmer sowie vier Gruppenräume.
Konzeptuell ist das Gebäude für Anpassungen vorbereitet. Seine innovative Tragkonstruktion wurde von der Schnetzer Puskas Ingenieure AG aus Zürich entwickelt. Sie besteht aus Betonstützen mit einem Raster von 8 mal 9,95 Metern, die in Betondecken eingespannt sind. So sind keine anderen Erdbebenaussteifungen und keine tragende Wände nötig. Das Konzept hat noch weitere Vorteile: Die Decken sind aus statischen Gründen 35 bis 45 Zentimeter dick. Dadurch braucht es keinen komplizierten Bodenaufbau für den Schallschutz. Die hellgrauen Linolböden liegen direkt auf einer dünnen Ausgleichsschicht. «Diese Einfachheit passt zur Idee der maximalen Reduktion», sagt Architekt Jens Studer. Reduziert präsentiert sich auch der restliche Ausbau: Weisse Leichtbauwände trennen die Räume voneinander. Mit Doppelflügeltüren in sanften Grau-, Blau- und Grüntönen kann jeder Raum mit allen benachbarten Räumen verbunden werden – etwa für klassenübergreifendes Arbeiten.
Die Zimmerdecken bestehen aus einem Rand in Sichtbeton und einer weissen, fugenlosen Akustikdecke in der Mitte. Die raumhohen Fensterfronten zum Laubengang hin sind ebenfalls in Weiss gehalten. Zur restlichen fest installierten Ausstattung gehören ein Waschbecken und metallene Garderobenhaken an den Säulen aus Sichtbeton. Sie ersetzen die sonst übliche Garderobe im Korridor. Zwei Flügel der Verglasung können komplett geöffnet werden – dies ermöglicht es im Sommer, einen Teil des Schulbetriebs ins Freie zu verlegen. Die vorgelagerten Lauben dienen nicht nur als Erschliessung und Schulzimmer im Freien, sondern spenden im Sommer auch Schatten. Ergänzt wird der Sonnenschutz durch aussen angebrachte textile Storen. Direkt neben der Schulzimmertür befindet sich zudem ein mit einem Streckmetallblech geschütztes Fenster. Dieses kann in der Nacht zur Auskühlung geöffnet werden und dient – in Kombination mit CO2-Fühlern – auch tagsüber zur Lüftung. Dadurch benötigen die Zimmer keine aufwendige mechanische Belüftung. Dieses Low-Tec-System wurde vom Haustechnikplanungsbüro Waldhauser und Hermann aus Münchenstein entwickelt.
Der neue Klassentrakt ergänzt die drei bestehenden Gebäude für Turnhalle, Singsaal und Kindergarten. Die Zweifachturnhalle und der Singsaal samt Nebenräumen erhielten im Zuge des Neubauprojekts eine sanfte Auffrischung und kleine räumliche Anpassungen. Sie sollen weitere zehn Jahre genutzt werden.
Neue Bauten für die Volksschule geben oft zu reden. Kritisch betrachtet werden etwa das realisierte Raumangebot, der Ausbaustandard der Klassenzimmer und die Kosten. Der Entwurf eines neuen Schulgebäudes kommt daher oft der Quadratur eines Kreises nahe. Die Arbeit der Planenden und der Behörden bewegt sich in einem Spannungsfeld von Budget, Nutzerwünschen, baulichen Gegebenheiten, baulichen Normen und Mindeststandards sowie Empfehlungen der kantonalen Behörden zum Raumangebot. Kostenrelevant bei der Erstellung und im späteren Betrieb sind im Schulhausbau unter anderem das zur Realisierung des Raumprogramms notwendige Gebäudevolumen, die haustechnischen Anlagen und der Aufwand für den Ausbau der Räume. Reduzieren lassen sich die Erstellungs- und Betriebskosten mit neuen Ideen und mutigen Entscheiden, bei denen übliche Ansätze kritisch hinterfragt werden.
Text: Alpha Media AG, Reto Westermann
Bilder: Dirk Podbielski
Was waren die grössten Herausforderungen im Projekt Schulhaus Wallrüti?
Die grösste Herausforderung war das architektonisch innovative Konzept so umzusetzen, dass es auch für die Nutzer nachhaltig funktioniert. Hier bewegten wir uns meist auf einer Gratwanderung zwischen Umsetzung einer innovativen Schulhausarchitektur und Einhaltung von städtischen Standards und baulichen Normen. Die grossen Doppelumschlagtüren zum Beispiel bieten eine enorme Flexibilität in der Unterrichtsgestaltung durch das Verbinden der verschiedenen Klassenzimmer, sollen aber gleichzeitig die geforderten Schalldämmwerte einhalten. Zusätzlich stellte uns das Weltgeschehen der vergangenen zwei Jahre vor weitere Herausforderungen bezüglich steigender Preise und Lieferverzögerungen.
Wie seid ihr mit diesen besonderen Herausforderungen aufgrund des Weltgeschehens umgegangen?
Sobald sich Lieferengpässe oder grosse Kostensteigerungen abzeichneten, haben wir nach Alternativen gesucht und gemeinsam mit dem Planerteam folgende Punkte abgewägt: Welche Auswirkungen hat es auf den Eröffnungstermin? Welche betrieblichen Folgen hätte es qualitativ? Wie stehen die Kosten in der Gesamtbetrachtung auch bezüglich der späteren Unterhaltskosten? Wichtig war, diese Entscheidungsgrundlagen immer transparent an den Projektausschuss zu kommunizieren, um gemeinsam das weitere Vorgehen festzulegen. Die zeitliche Komponente hatte zuletzt oberste Priorität, da eine Verschiebung keine Option war. An diesem Termin hing eine ganze Reihe von weiteren schulischen Rochaden im Stadtkreis Oberwinterthur und ein Provisorium zur Überbrückung wäre zu teuer gewesen.
Durch die grosse Glasfassade, die Laubengänge mit Bäumen und die offenen Strukturen hebt sich das Schulhaus Wallrüti von normalen Schulgebäuden ab. Inwiefern hat sich das auf deine Arbeit ausgewirkt?
Wenn man sich bei einem Wettbewerb bewusst für ein solch aussergewöhnliches Projekt entscheidet, bedeutet dies gleichzeitig, dass man nicht an üblichen Standards festhalten kann. Hier waren wir angehalten, betriebliche aber auch Sicherheitsaspekte neu zu definieren. Bei herkömmlichen Schulgebäuden gibt es z.B. nur wenige Eingangstüren in das Gebäude, sodass es keinen Bedarf für ein automatisches Türüberwachungssystem gibt. Wegen der freizugänglichen Laubengänge und dem Aspekt, dass jede Klassentür auch eine Zugangstür zum Gebäude ist, musste dem Sicherheitsaspekt beim Wallrüti grosse Beachtung geschenkt werden. Des Weiteren mussten betriebliche Abläufe durchdacht werden: Welche Wege nimmt das Reinigungspersonal am Abend? Welche Oberfläche der Lauben ist bestens geeignet für einen geringen Reinigungsaufwand? Wie werden die Eckklassenzimmer möbliert, wenn zwei Seiten komplett verglast sind? Aber auch kleinere Detailfragen, wie zum Beispiel wo und wie die Stundenpläne an den Glastüren platziert werden, mussten überlegt sein.
Wie seid ihr bei diesen Sonderlösungen vorgegangen?
Zuerst haben wir geprüft, was genau gegen eine Standardlösung spricht, wieso diese nicht funktioniert. Dann wurden die verschiedenen Anforderungen an die Lösung aus betrieblicher, schulischer und gestalterischer Sicht zusammengetragen. Wichtig war hier vor allem, dass die relevanten Personen auch seitens Nutzerschaft intensiv mit einbezogen wurden. Letztlich war es oft ein Mitdenken von allen Beteiligten, das zur Lösung geführt hat.
Fanzun ist erst nach der Phase «Bauprojekt» als externe Projektleitung für die Stadt Winterthur beauftragt worden. Wie seid ihr das angegangen?
Wir haben uns erst in die personelle und fachliche Ausgangslage des Projekts eingearbeitet. Zu Beginn haben wir eine Projektanalyse erstellt und uns mit allen Projektbeteiligten offen über alle planerischen, baulichen, aber auch betrieblichen Herausforderungen ausgetauscht. Anschliessend konnten wir der Bauherrschaft aufzeigen, wo wir Schwierigkeiten sehen und was unserer Meinung nach für einen optimalen Schulbetrieb noch weiterentwickelt werden müsste. Bei solchen Projektoptimierungen zu einem späten Zeitpunkt im Planungsprozess gilt es die Motivation im Planerteam aufrecht zu erhalten. Wir haben versucht dies durch transparente Kommunikation und den Appell «gemeinsam für ein gutes Projekt» zu erreichen, was meiner Meinung nach gut gelungen ist.
Das Schulhaus Wallrüti gilt als Vorreiterprojekt. Gibt es bereits Nachahmungsprojekte?
Es hat bereits angelehnte Wettbewerbsbeiträge in anderen Schulprojekten gegeben, die meines Wissens nach aber nicht gewonnen haben. Ich glaube, alle sind gespannt, wie sich solch ein innovatives Konzept schlussendlich im Betrieb bewährt.
Architekten Ingenieure Berater: Als Generalplanerin mit Standorten in Chur, Samedan, Scuol, Zürich, Bern und St. Gallen verfügt die Fanzun AG über mehr als 50 Jahre Erfahrung im Bauwesen. Das Portfolio des Unternehmens besteht aus anspruchsvollen Projekten in den Bereichen Tourismus, Gewerbe, Infrastruktur- und Wohnungsbau. Dass sich darunter auch einige preisgekrönte Bauten finden, liegt an der ganzheitlichen Herangehensweise von Fanzun. Über 80 Generalisten und Spezialisten vereinen ihr Wissen und bieten die gesamte Palette an Bau- und Immobiliendienstleistungen auf hohen Niveau an – von der strategischen Planung und Beratung über die Gestaltung und die Energiekonzeption bis hin zum Baumanagement.
Fanzun AG – Architekten Ingenieure Berater
Andrea M. Gredig
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